Schrift fällt nur dann auf, wenn sie irgendwie nicht passt. Irgendwie? Ja, genau so. Ganz krasses Beispiel: Das Buch, das Sie aufschlagen, ist nur in Grossbuchstaben gesetzt. Schock! Oder nur in kleinen Buchstaben. Noch eins: Die Tageszeitung hat plötzlich eine andere Schrift als sonst. Gar ein modernisiertes Logo. Der Aufschrei dazu macht sich in der Länge der Leserbriefe bemerkbar. Tagelange Diskussionen. Erst wenn etwas irgendwie anders aussieht als gewohnt wird es bemerkt.

Typographie ist mächtig.

Schrift ist also – wie auch Papier – nicht nur ein reines Transportmittel für Information, sondern auch Psychologie.

Der Beruf des Typographen stirbt. Wir schreiben am Rechner, niemand mehr baut eine Spalte im Bleisatz, kennt die Geheimnisse des Viertel- und Achtelgevierts. Wir schreiben in Word, und irgendwie kann man das natürlich lesen. Arial, Helvetica, Times New Roman, Calibri – kennt jeder aus den Grundeinstellungen. Passt schon irgendwie. Das ist aber keine Typographie. Das ist Word.  Denn dieses allseits benutzte Schreibprogramm ist nicht dazu gemacht, ein schönes Buch zu setzen, einen Flyer optisch ansprechend zu gestalten, sondern dazu, eine Seite mit Text zu füllen, den irgendjemand lesen soll und den man auch lesen kann. Trotzdem gibt es da die ganz Mutigen, die mit Word Art noch eins draufsetzen, gebogen, verzerrt, gestaucht, alles schön bunt, es muss rein, was das Programm hergibt. Hauptsache, es fällt aus dem Rahmen. Das tut es auch, aber negativ.

Typographie transportiert ein Gefühl. Seriosität und Gediegenheit. Zuverlässigkeit. Avantgarde und Moderne. Auch Zuverlässigkeit, aber  Neuem gegenüber aufgeschlossen. Grosszügigkeit. Eleganz.

Bleiwüste

Typographie braucht Platz. Oben und unten, rechts und links. Eine vollgeschriebene Seite hat keine Luft zum Atmen. Das liest keiner, das ist verlorene Arbeit bei Text und Satz, eben Bleiwüste.  Das erschlägt und ist Sparen an falscher Stelle. Vollgestopfte Anzeigen, kleine Schrift, möglichst noch eine eng laufende –  man will Millimeter sparen und damit Kosten – falsch. Wer so denkt, der soll es gleich sein lassen. Textblöcke brauchen Platz, um sich entfalten zu können. Weissraum wirkt. Setzt Akzente.

Visuelle Eindrücke sind immer auch Interpretation. Versale Überschriften in einer klassischen Serifenschrift wirken gediegen, verlässlich – hingegen riesengrosse fette Schriften – allseits bekannt aus einschlägigen Boulevardzeitschriften – aufmerksamskeitsheischend, schnell zu konsumieren. Der Betrachter ordnet ein Erscheinungsbild ein. Rein optisch und auf den ersten Blick. Er wird  grossformatige bunte Zeitungsbeilagen für Elektrogeräte mit Preisschildern in riesigen Lettern und schreienden Farben als etwas anderes sehen als die Titelseite einer Tageszeitung im gleichen Format mit wenigen Fotos und viel Text. Seh- und Erwartungsgewohnheiten spielen eine grosse Rolle, oft unterbewusst.

„Gute Typografie erklärt den Inhalt.
Nicht den Gestalter.“

Kurt Weidemann, Typograph

(Foto: gratisography)